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BAER, Karl Ernst von

БЭР, Карл Максимович / BĖR, Karl Maksimovič
Namensvariationen: Edler von Huthorn, Karl Ernst Ritter von Baer, Карл Эрнст фон Бэр
 
Portrait von 1840, Abgedruckt in: Schmuck 2009, 147.
* 17./28. Februar 1792 auf dem Gut Piep (estnisch Piibe) im Gouvernement Reval
† 16./28. November 1876 in Dorpat, Grabstätte: alter Johannesfriedhof, Tartu
Embryologe
 
V Magnus Johann Baer von Huthorn (1765-1825), estländischer Landrat und Ritterschaftsrat
M Juliane Louise (1764-1820), Tochter des russischen Majors Andreas Magnus Baer von Huthorn (1726-87) und der Margarethe Johanna von Wrangell-Köndess
E Auguste von Medem (1799-1864), Heirat am 1.1.1820 in Königsberg
N Karl Julius Friedrich (1822-1843), Student der Medizin
August Emmerich (1824-1891), russischer Generalmajor der Flotte
Alexander Andreas Ernst (1826-1914), Landrat, verheiratet mit Cäcilie von Stackelberg (1833-1881),
Marie Juliane (1828-1900), verheiratet mit Karl von Linden (1896)
Hermann Theodor (1829-1866)
   
A BAERs Vorfahren aus Westfalen waren bereits im 16. Jahrhundert ins Baltikum gekommen. Karl Ernst von BAER wurde am 17./28. Februar 1792 auf dem väterlichen Gut Piep in Estland geboren. BAER wurde zuerst von Hauslehrern erzogen. Von 1807 bis 1810 besuchte er die bekannte "Ritter- und Domschule" in Reval, eine Schule auf sehr hohem Niveau. BAER kam über seine botanischen Interessen zur Medizin (vgl. SL Englert 1935, 17-18). Im Sommer 1810 begann er in Dorpat mit dem Medizin-Studium. Neben BURDACH wurden in Physik Georg Friedrich PARROT (1767-1852) und in Botanik Karl Friedrich (von) LEDEBOUR (1786-1851) seine Lehrer, PANDER sein Kommilitone. BURDACH war der Ruf vorausgeeilt, Naturphilosophie zu betreiben, was ihn für die Studenten interessant machte:
Burdach's Vorträge erregten ein sehr lebhaftes Interesse in Dorpat, da sie geistvoll auch in den gewöhnlichsten Demonstrationen waren, zuweilen wohl etwas zu sehr schematisirend, mit naturphilosophischer Färbung. Aber gerade danach sehnte man sich in Dorpat. [...] Vor der Naturphilosophie warnte man uns angelegentlich, wie vor einem Gespenst, ohne jedoch jemals ihre Schäden näher zu bezeichnen, da man sie nicht kannte. Das hatte die natürliche Folge, dass wir umso begieriger waren, das Gespenst kennen zu lernen, vor dem die Herren Scheu hatten, ohne es zu kennen (Q Baer 1866, 118-119).

BAER war von BURDACHs Vorlesungen, und zwar besonders von dessen entwicklungstheoretischen Fragestellungen, fasziniert, wie er in seiner Autobiographie schreibt:
Burdach trug auch zuerst die allgemeine Anatomie vor - freilich nicht, wie man sie jetzt vorträgt, am Mikroskop - sondern im Bichat'schen Sinne. Wir gewannen dabei doch allgemeine Einsichten in den organischen Bau, der uns sehr wertvoll war. Am meisten zog seine "Geschichte des Lebens", eine Art Entwickelungsgeschichte an (Q Baer 1866, 119).

Der Student BAER verkehrte auch privat in den Häusern seiner Professoren. Im gleichen Jahr 1814, in dem BURDACH Dorpat verließ, schloss BAER sein Studium ab. BAERs Dissertation erschien 1814 unter dem Titel De morbis inter Esthonos endemicis (W Baer 1814). Die Arbeit wurde im ersten Band der Russischen Sammlung für Naturwissenschaft und Heilkunst mehr ausführlich wiedergegeben als eigentlich rezensiert.
Um sich medizinisch weiterzubilden, reiste Baer in eines der Zentren der Medizin im 19. Jahrhundert, nach Wien. In Berlin machte er Zwischenstation, wo ihn PANDER, der 1814/1815 dort studierte, vergeblich für die Wissenschaft zu gewinnen suchte, denn BAER wollte zu dieser Zeit Arzt werden. In Wien besuchte BAER die großen Krankenhäuser, hörte u.a. bei dem bekannten Gynäkologen Johann Lucas BOËR (1751-1835), traf auf seinen Dorpater Kommilitonen Friedrich PARROT, der hier ebenfalls Medizin studierte, verzweifelte aber zunehmend an seiner Berufung zum Arzt.
Auf Ignaz von DÖLLINGER (1799-1890) verwiesen, ging BAER nach Würzburg, um sich dort in Vergleichender Anatomie weiterzubilden. Unter DÖLLINGERs Anleitung sezierte BAER Blutegel, Mollusken usw. und erwarb sich so ein gründliches, breites anatomisches Wissen, die Grundlage für seine späteren embryologischen Untersuchungen. "Ihn - Döllinger - müssen wir daher als Baer's ersten, wahren Lehrer bezeichnen" (SL Raikov 1968, 37). Jahrzehnte später schrieb BAER in seiner Selbstbiographie vom außergewöhnlich engen Verhältnis zwischen DÖLLINGER und seinen Studenten:
Ich wüsste keinen von den letztern [sc. Schülern] zu nennen, der ihm nicht mit ganzer Seele ergeben gewesen wäre und auch Döllinger gewann seine Schüler lieb, von denen er nichts erwartete, als dass sie ihm ihre Anhänglichkeit bewahren würden. Nie hörte ich bei einem jahrelangen Umgange den mindesten Tadel über einen derselben, oft aber, wenn er sie geistreich gefunden hatte, Anerkennung des Talentes und herzliche Zuneigung aussprechen (Q Baer 1886, 186).

DÖLLINGER nahm kein Honorar für seinen Unterricht, seine Studenten verkehrten in seinem Hause.
1816/1817 war BAER zu einem Studienaufenthalt in Berlin, mit den Wissenschaftlern der preußischen Hauptstadt stand er in seiner Königsberger Zeit in regem Kontakt. Im August 1816 bekam er von BURDACH, der 1814 nach Königsberg berufen worden war, eine Einladung, mit ihm dort zu arbeiten. Nach dem Berlinaufenthalt sagte BAER zu und kam 1817 im Anschluss an eine Sommerreise ins heimische Estland nach Königsberg.
B Im Herbst 1819 unternahm BAER eine Reise nach St. Petersburg und arbeitete u.a. in der Kunstkammer, über deren ungeordneten Zustand er entsetzt war: "Von dem Geiste des Pallas, Wolff, Gmelin ist keine Spur mehr an der Newa" (Brief vom 30.12.1819 an C. A. Rudolphi, vgl. Jahn 1993, 111-112).
Insgesamt 17 Jahre, von 1817 bis 1834, lebte BAER in Königsberg. Er lehrte Anatomie und Zoologie und leitete als Prosektor die Sezierübungen. Von 1821 an war er Direktor des Zoologischen Museums. 1826 wurde BAER von BURDACH die Leitung des Anatomischen Instituts in Königsberg übertragen und konnte sich nun vermehrt entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen widmen. BURDACH wollte sich auf die Physiologie, die er als "Königsdisziplin" unter den Naturwissenschaften ansah, konzentrieren; ab 1828 erschien dann BURDACHs Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft, zu der auch BAER embryologische Beiträge lieferte, was zu Verstimmungen zwischen beiden führte. Er hielt öffentliche Vorträge, u. a. über die Entwicklungsgeschichte des Hühnchens, über Zeugung und über Anthropologie. In Königsberg arbeitete BAER etwa acht Jahre an seinem embryologischen Hauptwerk Über Entwickelungsgeschichte der Thiere und versuchte erfolgreich, das Ei bei Menschen und anderen Säugetieren zu finden.
In den Jahren 1828, 1829 und 1830 hielt sich BAER erneut in Berlin auf, um "die Vorstellung vom Durchlaufen der verschiedenen Thierformen während der Entwicklung des Embryonenlebens als unbegründet zu erweisen" (Baer an Rudolphi in einem Brief vom 18.7.1828, zitiert nach Jahn 1993 b, 113) und seine Entdeckung des Eies zu präsentieren. BAER unternahm zahlreiche Forschungsreisen und Expeditionen, zuerst in die russische Arktis, nach Novaja Zemlja, dann ans Kaspische Meer.
BAER versuchte, Ende der 20er Jahre in Königsberg ein embryologisches Institut zu gründen, um seine Forschungen auf eine breite und systematische Grundlage stellen zu können. Der Versuch scheiterte, der undatierte, sieben Seiten umfassende Plan für das Institut ist im BAER-Nachlass in Gießen erhalten geblieben (Q). BAER betont in seinem Exposé ausdrücklich die Bedeutung der entwicklungsgeschichtlichen Forschung für die Humanmedizin, insbesondere für Physiologie und Pathologie. Er stellte auch einen Kostenplan auf, der detailliert für ein Jahr die Kosten u.a. für die Beschaffung der Versuchstiere auflistete.
1835 ging BAER nach St. Petersburg. Bereits seit 1826 auswärtiges Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, wurde er 1834 ordentliches Mitglied, was er bis 1862 blieb. Der Weggang des berühmten Entdeckers des Säugetiereies wurde als Verlust für die Wissenschaften in Deutschland öffentlich bedauert. So schrieb SIEBOLD im Journal für Geburtshülfe:
Möge ihm, dem unermüdlichen Forscher, auch ferne von uns, in seiner neuen Laufbahn, ein freundlicher Stern leuchten; nur der Gedanke, dass die Wissenschaft keine Scheidewand, durch äussere Verhältnisse herbeigeführt, kennt, dass alle ihre Jünger, sie mögen noch so entfernten Zonen angehören, ein gemeinsames Band umschliesst, muss uns über den Verlust eines Mannes trösten, auf welchen Teutschland mit gerechtem Stolze hinblicken kann (W Baer 1835b, 401).

In St. Petersburg beschäftigte sich BAER vor allem mit anthropologischen, geographischen und fischereikundlichen Problemen und baute die kraniologische Sammlung der Akademie aus. Gemeinsam mit dem Geologen und Forschungsreisenden Gregor von HELMERSEN (1803-1885) gab er die vielbändigen Beiträge zur Kenntnis des Russisches Reiches heraus. 1843/1844 plante BAER eine größere Arbeit über tierische und menschliche Embryologie und Teratologie, die er ankündigte, die aber damals nicht zustande kam (vgl. W Stieda 1878, 133-134). Seine vielfältigen Verpflichtungen und Interessen, insbesondere auf dem Gebiet der Geographie, die 1845 zur Gründung der Geographischen Gesellschaft führten, hielten ihn vorerst von weiteren embryologischen Untersuchungen ab. Außerdem führten ihn in den 40er, 50er und 60er Jahren zahlreiche Reisen durch Europa und Russland.
Entgegen der deshalb manchmal vertretenen Ansicht, BAER habe mit der Übersiedlung in das Russische Reich seine entwicklungsgeschichtlichen Forschungen aufgegeben, beschäftigte sich BAER jedoch weiterhin mit embryologischen Fragestellungen, wie sowohl gedruckte Arbeiten (teratologische Arbeiten: W Baer 1855 und 1861) als auch im Gießener Nachlass befindliche Manuskripte zeigen. Europareisen führten ihn 1845 nach Italien, wo er über die Entwicklung der Aszidien und Seeigel arbeitete. In Genua sowie im damals österreichischen Venedig und Triest (dort nochmals 1846/47) experimentierte er erfolgreich mit der künstlichen Befruchtung bei Ascidien, Spatangus und verschiedenen Seeigel-Arten. Wenn ihm auch die Aufzucht von Seeigel-Larven nicht gelang, konnte er doch seinem Hauptinteresse nachgehen, der Embryologie.
Über die "Versuche zu künstlichen Befruchtungen an Eiern von Seethieren" berichtete er ausführlich an die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg (vgl. W Baer 1847a, 2-3). Experimente zur künstlichen Befruchtung bei Fischen hatte BAER sowohl in Königsberg als auch in St. Petersburg unternommen, ein weiterer Umstand, der sein kontinuierliches Interesse an diesen Fragen belegt. Letztlich gründete BAERs Interesse an Fischereiwesen und Fischzucht auf seinen Forschungen zu Zeugungslehre und Embryologie.
Die Forschung an der Entwicklungsgeschichte von marinen Wirbellosen erschien ihm so bedeutend, dass er plante, St. Petersburg zu verlassen, um anderswo ausschließlich embryologischen Studien zu leben, gab den Plan aber später wieder auf (vgl. W Baer 1847a und SL Stieda 1878, 137-140).
Bis 1846 war BAER an der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften Mitglied für Zoologie, ab diesem Jahr Mitglied für vergleichende Anatomie und Physiologie, weswegen ihm nunmehr auch die Verwaltung des anatomischen Museums oblag. Für seine bis 1852 währende Lehrtätigkeit an der medico-chirurgischen Akademie verfasste er 1847 die Praelectiones histologicae, 1848 regte er die Gründung der ethnographischen Sammlung an. 1851-1852 unternahm er sechs Fischereiexkursionen auf dem Peipussee und über die Ostsee bis nach Schweden, 1853, 1854 und 1855-1857 führten ihn drei Reisen entlang der Wolga zum Kaspischen Meer und in den Kaukasus, um auch dort das Fischereiwesen zu studieren. Ende der 50er Jahre ordnete und erweiterte er die kraniologische Sammlung. 1858 besuchte er Deutschland und die Schweiz und nahm an der 34. Versammlung der Naturforscher und Ärzte in Karlsruhe teil. Hier begegnete er nach langen Jahren Martin Heinrich RATHKE wieder, beide erkannten einander nicht mehr. Eine neue Europareise führte ihn 1859 nach Deutschland, Paris und London. Zurück in Russland, begründete er 1859/1860 die Russische Entomologische Gesellschaft mit, in der Maisitzung 1860 hielt er seine berühmte Rede Welche Auffassung der lebenden Natur ist die richtige und wie ist sie auf die Entomologie anzuwenden?, in der er seine Vorstellungen von den Teleologien in der Natur entwickelte. 1861 führte ihn eine Reise nach Dänemark, Deutschland und die Schweiz; beim anthropologischen Kongress in Göttingen schlug er ein einheitliches Maßsystem in der Anthropologie vor. 1862 reiste BAER an das Asowsche Meer, um dessen angebliche Versandung zu untersuchen. Im gleichen Jahr nahm er Abschied von der Kaiserlichen Akademie. Im Jahr darauf unternahm der nun 71jährige eine Inspektionsreise nach Kazan'. 1864 wurde sein 50jähriges Doktorjubiläum gefeiert, seine Autobiographie schrieb er aus diesem Anlass im Auftrag der Ritterschaft Estlands in angeblich nur vier Wochen. Mit der Feier ging sein Aufenthalt in St. Petersburg dem Ende entgegen.
Ab Juni 1867 lebte BAER wieder in Dorpat, auch um seinen Kindern nahe zu sein. Das letzte Jahrzehnt war von schwindendem Augenlicht und unvermindert fortbestehendem Interesse am Fortgang der Wissenschaften gekennzeichnet (SL Stieda 1878, 186-187).
In Dorpat trafen sich jeden Mittwoch Freunde, Bekannte und Interessierte zu Vorträgen in BAERs Haus in der Mühlenstraße (vgl. SL Stieda 1878, 187-189), eine Tradition, die bis zur Woche vor BAERs Tod eingehalten wurde. Das Haus in der Veski 4 (Tartu), in dem Baer seine letzten Lebensjahre verbrachte und starb, ist seit 1976 Baer-Museum und Forschungszentrum für Wissenschaftsgeschichte der Estnischen Landwirtschaftlichen Universität (Online Ressource).
BAER publizierte weiterhin, beschäftigte sich u.a. mit dem Darwinismus und mit "historischen Fragen mit Hülfe der Naturwissenschaft beantwortet" (vgl. "Ueber Darwin's Lehre" in: W Baer 2003 [1876], 235-480 und 2004 [1873] sowie SL Stieda 1878, 190-192). 1874 beging man feierlich den 60. Jahrestag seines Doktorjubiläums. Auch naturwissenschaftlich blieb er tätig bis zuletzt: Er arbeitete über Aszidien und versuchte sogar, in Froscheiern die Entwicklung des Gehörorgans zu untersuchen.
BAER starb am 16./28. November 1876 mit 84 Jahren in Dorpat in seinem Haus. Das Begräbnis fand am 20. November/2. Dezember 1876 auf dem alten Johannesfriedhof statt. Der deutschbaltische Physiologe BIDDER hielt die Rede in der Universitätskirche, der deutsch-russische Zoologe und Ethnograph Leopold SCHRENCK (1826-1894) die Grabrede. Das Grab ist bis heute erhalten geblieben. Bereits 1886 wurde ein BAER-Denkmal vom russischen Bildhauer Aleksandr Michailovič OPEKUŠIN (1841-1923) am Domberg in Dorpat errichtet (Online Ressource).
BAER wurde durch Verleihung des preußischen Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste, Friedensklasse (1849) geehrt. Sein Nachruhm blieb auch durch zahlreiche Eponyme lebendig. Die BAER-Insel (russ. Ostrov Bėra) im Golf von Tajmyr in Nordsibirien wurde 1845 von MIDDENDORF nach ihm benannt. Heute nicht mehr gebräuchlich ist der Ausdruck "Baersches Bläschen" ("Baer's vesicle") für die Zona pellucida der Eizelle.
WL Das BAERsche Gesetz hat eine embryologische Bedeutung und eine geographische Bedeutung, wonach die ablenkende Kraft der Erdrotation, die Corioliskraft, dazu führt, dass auf der Nordhalbkugel fließende Flüsse nach rechts, auf der Südhalbkugel nach links abgelenkt werden. Die von BAER 1856 (auf deutsch 1860) beschriebene Regel, das nach seinem, von BAER unabhängigen, zweiten Entdecker Jacques BABINET (1794-1872) auch Baer-Babinetsches Gesetz heißt, besagt, dass (auf der Nordhalbkugel) das rechte Flussufer gewöhnlich steil ist, das linke flach.
BAERs Bedeutung beschränkte sich nicht auf naturwissenschaftliche, medizinische und geographische Leistungen. Er beeinflusste mit seinen Vorträgen und populäreren Schriften auch eine an den Naturwissenschaften interessierte Öffentlichkeit. Symptomatisch ist die Inanspruchnahme BAERs als naturwissenschaftlichen Kronzeugen gegen "Materialismus" und "Darwinismus". Die Bedeutung, die BAER "Teleologien" beimaß, und seine kritischen Bemerkungen zur Evolutionstheorie machten es leicht, sich auf ihn in der Auseinandersetzung mit der Selektionstheorie zu berufen. "Zweckhafte", teleologische Prozesse, die sich aus embryonalen Vorgängen ableiten ließen, wurden dabei gegen eine auf "Zufällen" beruhende Evolution ausgespielt, dienten als antidarwinistisches Argument oder als Begründungsargument in ethischen oder theologischen Debatten.
BAER gilt zu Recht als einer der bedeutendsten Embryologen des 19. Jahrhunderts. Diese Bedeutung beruht auf mehreren wissenschaftlichen Leistungen:
1. auf der Entdeckung des menschlichen und Säugetier-Eies 1827,
2. auf der Entwicklung und dem Ausbau des Keimblattkonzepts, gemeinsam mit Christian Heinrich PANDER,
3. auf der Entdeckung der Chorda dorsalis (Rückensaite, Notochord) als eines gemeinsamen Merkmals aller Wirbeltierklassen bzw. aller - später unter dieser Bezeichnung zusammengefassten - Chordaten ("Rückensaitentiere", d. h. Wirbeltiere, Salpen, Seescheiden, Schädellose),
4. auf den systematischen Arbeiten zur vergleichenden Embryologie,
5. auf der theoretisch fundierten, prinzipiellen Kritik an der Rekapitulationshypothese (der "biogenetischen Grundregel").
   
M • Auswärtiges Mitglied (20.12.1826), Ordentliches Mitglied (9.4.1828), Auswärtiges Ehrenmitglied (28.10.1830), erneut Ordentliches Mitglied (11.4.1834-27.10.1862), Ehrenmitglied (2.11.1862) der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg;
• Korrespondierendes (1832), Auswärtiges (1849) Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-physikalische Klasse;
• Mitglied der Leopoldina, Sektion Medizin (1820);
• Korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1834);
• Ehrenmitglied der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin (1839).
GPV • Stieda 1878, 196-298 (SL);
• Raikov 1968 (SL).
W • Dissertatio inauguralis medica, de morbis inter Esthonos endemicis. Diss. Dorpat 1814. Neudruck: Stuttgart 1938.
• Bemerkungen aus meinem zootomischen Tagebuche. Berichte von der Königlichen anatomischen Anstalt zu Königsberg 2 (1819), 13-48.
• Zwei Worte über den jetzigen Zustand der Naturgeschichte. Königsberg 1821.
• Vorlesungen über Anthropologie, für den Selbstunterricht. Königsberg 1824.
• Über das äussere und innere Skelet. Ein Sendschreiben an Herrn Prof. Heusinger vom Prof. Baer. (Im März 1826). [Meckels] Archiv für Anatomie und Physiologie (1826) 3, 327-376.
• De ovi mammalium et hominis genesi. Leipzig 1827.
• Ueber die Kiemen und Kiemengefässe in den Embryonen der Wirbelthiere. [Meckels] Archiv für Anatomie und Physiologie (1827) 4, 556-567.
• Ueber einen Doppel-Embryo vom Huhne aus dem Anfange des dritten Tages der Bebrütung. [Meckels] Archiv für Anatomie und Physiologie (1827) 4, 576-586.
• Commentar zu der Schrift: De ovi mammalium et hominis genesi. Epistola ad Academiam scient. Petropolitanam. Heusinger's Zeitschrift für organische Physik 2 (1828), 125-193.
• Untersuchungen über die Gefässverbindung zwischen Mutter und Frucht in den Säugethieren. Leipzig 1828.
• Über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion. Bd. 1. Königsberg 1828.
• Geschichte des Hühnerembryo. Von K. E. v. Baer. In: Karl Friedrich Burdach: Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft. 2. Bd. Leipzig 1828, 239-370.
• Berichte über die Zoographia Rosso-Asiatica von Pallas. Königsberg 1831.
• Ueber das Verhältniß des Preußischen Staats zur Entwickelungsgeschichte der Menschheit. Am achtzehnten Januar 1834 in der Königlich Deutschen Gesellschaft vorgetragen. Historische und literärische Abhandlungen der königl. Deutschen Gesellschaft zu Königsberg, 3. Sammlung, 8 (1834), 229-247 [bzw. 1-12, 241-247].
• Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte der Fische, nebst einem Anhange über die Schwimmblase. Leipzig 1835.
• Beobachtungen aus der Entwickelungsgeschichte des Menschen. Aus einem Schreiben an den Herausgeber. [Siebolds] Journal für Geburtshülfe, Frauenzimmer- und Kinderkrankheiten 14 (1835) 3, 401-417.
• Bitte um eine Nachricht über die Litteraturgeschichte unseres Vaterlandes, besonders an diejenigen Herren gerichtet, welche in den Jahren 1806-1808 in Jena oder Göttingen studirt haben. Inland 15 (1836), Sp. 253-256.
• Wegen des Grafen von Tredern, zweite Aufforderung. Inland 23 (1836), Sp. 391-392.
• Über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion. Bd. 2. Königsberg 1837.
• Über die doppelleibigen Missgeburten. Mémoires de l'Acádemie Impériale des sciences de St. Pétersbourg 6.2 (1845).
• Kurzer Bericht über wissenschaftliche Arbeiten und Reisen welche zur nähern Kenntniss des Russischen Reichs in Bezug auf seine Topographie ... in der letzten Zeit ausgeführt sind. 2 Bde. St. Petersburg 1845-1855 (Beiträge zur Kenntnis des Russischen Reiches und der angrenzenden Länder Asiens 9).
• Auszug aus einem Berichte des Akademikers v. Baer, aus Triest vom 1. (13.) November 1845. Bulletin de la classe physico-mathématique de la l'Acádemie Impériale des sciences de St. Pétersbourg 5 (1847) 15, 1-14 [231-240].
• Ueber mehrfache Formen von Spermatozoen in demselben Thiere. (Lu le 8 novembre 1845). Bulletin de la Classe physico-mathématique de l'Acádemie Impériale des sciences de St.-Pétersbourg 5 (1847) 14, 1-2.
• Notice sur un monstre double, vivant, composé de deux enfants féminins. Mélanges biologiques 2 (1855), 293-296.
• Ein Wort über einen blinden Fisch - als Bildungs-Hemmung. Mélanges biologiques, Bulletin de l'Académie Impériale des sciences de St.-Pétersbourg 4 (1861), 30-36 [215-220].
• Außerordentliche öffentl. Jahresversammlung der Dorpater Naturforscher-Gesellschaft zur Feier des 100jährigen Geburtstages Alexanders v. Humboldt. Am 14./2. Septbr. [sic!] 1869 in der Aula der Universität. Sitzungsberichte der Naturforscher-Gesellschaft 3 (1869), 9-26.
• Entwickelt sich die Larve der einfachen Ascidien in der ersten Zeit nach dem Typus der Wirbelthiere? Mémoires de l'Académie Impériale de St.-Petersbourg, 7e série, 19 (1873) 8.
• Zum Streit über den Darwinismus. Allgemeine Zeitung (1873) 130, 1986-1988.
• Biographische Nachrichten über den Embryologen Grafen Ludwig Sebastian Tredern. Bulletin d'Académie impériale des Sciences de Saint-Petersbourg 19 (1874), Sp. 67-76.
• Studien aus der Entwickelungsgeschichte des Menschen [Über Entwickelungsgeschichte der Thiere, Schlußheft zu Theil 2, hg. von Ludwig Stieda]. Königsberg 1888.
• Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Professor Dr. Remigius Stölzle. Stuttgart o. J. [ca. 1920].
• Über die Bildung des Eies der Säugetiere und des Menschen. Hrsg. von Benno Ottow. Leipzig 1927.
• De morbis inter Esthonos endemicis. Hg. von Heinz Zeiss. Stuttgart 1938.
• On the Genesis of the Ovum of Mammals and of Man [Introduction von Bernhard Cohen]. Isis 47 (1956) 2, 117-153.
• Pis'ma Karla Bėra učenym Peterburga. T. A. Lukina (Red.). Leningrad 1976.
• Entwicklung und Zielstrebigkeit in der Natur. Schriften. (Hrsg. von Karl Boegner). Stuttgart 1983.
• Materialien zur Kenntniss des unvergänglichen Boden-Eises in Sibirien. Unveröffentlichtes Typoskript von 1843 und erste Dauerfrostbodenkunde. gesammelt von Karl Ernst von Baer. Hg. von Lorenz King, kommentiert von Erki Tammiksaar. Gießen 2001 (Berichte und Arbeiten aus der Universitätsbibliothek und dem Universitätsarchiv Giessen 51).
• Reden und kleinere Aufsätze: Zweiter Theil. Studien aus dem Gebiete der Naturwissenschaften [Nachdruck der Ausgabe St. Petersburg 1876]. Hg. von Olaf Breidbach, Bd. 2. Hildesheim, Zürich, New York 2003.
• Reden und kleinere Aufsätze: Dritter Theil. Historische Fragen mit Hülfe der Naturwissenschaften beantwortet [Nachdruck der Ausgabe St. Petersburg 1873]. Hg. von Olaf Breidbach, Bd. 3. Hildesheim, Zürich, New York 2004.
• Reden und kleinere Aufsätze: Erster Theil. Reden [Nachdruck der Ausgabe St. Petersburg 1864: Reden gehalten in wissenschaftlichen Versammlungen und kleinere Aufsätze vermischten Inhalts, erster Theil: Reden]. Hg. von Olaf Breidbach, Bd. 1. Hildesheim, Zürich, New York 2006.
Q • Baer-Nachlass, Universitätsbibliothek Gießen.
• Erki Tammiksaar: Findbuch zum Nachlass Karl Ernst von Baer (1792-1876). GEB - Giessener Elektronische Bibliothek. Online Ressource (1.6.2012). Siehe auch: Erki Tammiksaar: Der "Humboldt des Nordens": der Nachlass des Naturforschers Karl Ernst von Baer in der Universitätsbibliothek [Tartu] wird ausgewertet. Spiegel der Forschung 17 (2000) 2, 14-21.
• Karl Ernst von Baer: Nachrichten über Leben und Schriften des Herrn Geheimraths Dr. Karl Ernst von Baer, mitgetheilt von ihm selbst. [Selbstbiographie]. St. Petersburg 1866. Online Ressource (17.7.2012). [Nachdruck der Ausgabe 1886. Hannover-Döhren 1972.]
SL • Ludwig Stieda: Karl Ernst von Baer. Eine biographische Skizze. Mit einem Bildnisse Baer's. Braunschweig 1878.
• Ludwig Stieda: Baer, Karl Ernst von. In: Allgemeine Deutsche Biographie 46 (1902), 207-212. Online Ressource (1.6.2012).
• Remigius Stölzle: Karl Ernst von Baer und seine Weltanschauung. Regensburg 1897.
• George Sarton: The discovery of the mammalian egg and the foundation of modern embryology. Isis 16 (1931) 2, 315-377.
• Ludwig Englert: Die Entdeckung des Säugetier-Eies im Lebensplan Karl Ernst von Baers. Medizinische Mitteilungen 7 (1935) 1, 16-22.
• Goetz von Seile: Baer, Edler von Huthorn, Karl Ernst Ritter von. In: Neue Deutsche Biographie 1 (1953), 524. Online Ressource (1.6.2012).
• Boris E. Raikov: Karl Ernst von Baer: 1792-1876. Sein Leben und sein Werk. Leipzig 1968 (Acta historica Leopoldina 5).
• Heinrich von Knorre: Die Entstehungsgeschichte von K. E. Baers „Sendschreiben“ De ovi mammalium et hominis genesi 1827 und vier Briefe Karl Ernst von Baers an Carl Asmund Rudolphi. Mitteilungen der deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Reihe 3, 17 (1973), 237-286.
• Heinrich von Knorre: 17 Briefe von Christian Heinrich Pander (1794-1865) an Karl Ernst von Baer (1792-1876). Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 59 (1973), 89-116.
• Heinrich von Knorre: Die Entstehungsgeschichte von K. E. Baers "Sendschreiben": De ovi mammalium et hominis genesi 1827 und vier Briefe Karl Ernst von Baers an Carl Asmund Rudolphi. Mitteilungen der deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Reihe 3, 17 (1973), 237-286.
• Heinrich von Knorre, Helmke Schierhorn: Karl Ernst von Baer (1792-1876). Eine ikonographische Studie. Acta historica Leopoldina 9 (1975), 227-268.
• Michael Hagner: Sieben Briefe von Johannes Müller an Karl Ernst von Baer. Medizinhistorisches Journal 27 (1992), 138-154.
• Ilse Jahn: Die Beziehungen Karl Ernst von Baers zu Berliner Zoologen während seines Wirkens in Königsberg (1818-1834). Folia Baeriana 6 (1993), 109-115.
• Toomas Sutt: Karl Ernst von Baer. (Hg.: Bund der Vertriebenen, Arbeitshilfe 63). Bonn 1994.
• Erki Tammiksaar: Der Einfluss Karl Ernst v. Baers (1792-1876) auf die Wahl deutscher Gelehrter an die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften. In: Ingrid Kästner, Regine Pfrepper (Hgg.): Naturforschung, Experiment und Klinik. Deutsch-russische Beziehungen in der naturwissenschaftlichen Medizin des 19. Jahrhunderts. Leipzig, 05.-06.07.2001. Aachen 2002, 89-98 (Deutsch-russische Beziehungen in Medizin und Naturwissenschaften 6).
• Schmuck, Thomas: Karl Ernst von Baer. In: Baltische Genesis. Die Grundlegung der Embryologie im 19. Jahrhundert. Aachen 2009 (Relationes 2), 137-155, 257-260.
• Ortrun Riha, Thomas Schmuck: "Das allgemeinste Gesetz". Karl Ernst von Baer und die großen Diskurse des 19. Jahrhunderts. Aachen 2011 (Relationes 5).
• Folia Baeriana, Verzeichnis. Folia Baeriana VII. Online Ressource (1.6.2012).
• Thomas Schmuck: Der Briefwechsel zwischen Alexander von Humboldt und Karl Ernst von Baer. HiN - Internationale Zeitschrift für Humboldt Studien XIII, 24 (2012), 5-20. Online Ressource (15.7.2012).
• Erki Tammiksaar: A short biography of Karl Ernst von Baer. Online Ressource (1.6.2012). A complete Baer's bibliography has been published in Folia Baeriana IV.
• Biographie von K. E. von Baer auf der Homepage des Baer-Museums. Online Ressource (1.6.2012).
P • Portrait von 1834. Online Ressource (1.6.2012).
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• Portrait um 1864, zur Zeit der Abfassung seiner Selbstbiographie. Online Ressource (1.6.2012). Abgedruckt in: Schmuck 2009, Tafel 10.
• Museum für Naturkunde, Berlin: Collection of Portraits, Sign. HBSB ZM B I/9 Online Ressource (1.6.2012).
• Altersportrait auf der Homepage der Russländischen Akademie der Wissenschaften. Online Ressource (1.6.2012).
• Gemälde von Julie Wilhelmine Hagen-Schwarz (1824-1902) von 1878. Universität Königsberg.
• Altersportrait von 1867 nach einem Gemälde von Julie Wilhelmine Hagen-Schwarz. Online Ressource (1.6.2012).
• Portrait in: Stieda 1878 (SL).
 
 
Gedruckte Version: Schmuck, Thomas: Karl Ernst von Baer. In: Baltische Genesis. Die Grundlegung der Embryologie im 19. Jahrhundert. Aachen 2009 (Relationes 2), 137-155, 257-260.
Die Internetversion weicht von der gedruckten Fassung ab.