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FRITZSCHE, Carl Julius

ФРИТЦШЕ, Юлий Фëдорович / FRITCŠE, Julij Fëdorovič
Namensvariationen: Karl, ФРИЦШЕ, Карл Юлий
 
Photographie von Fritzsche im Photoalbum von August Kekulé. Kekulé-Archiv an der TU Darmstadt. © Foto von E. Roussanova am 16.3.2005.
* 17./29.10.1808, Neustadt bei Stolpen in Sachsen
† 8./20.6.1871, Dresden
Chemiker und Pharmazeut
 
V Dr. med. Christian Ferdinand Fritzsche (?), Amtsphysikus zu Stolpen und Hohenstein
M Juliane Christiane [Wilhelmine] (?), Schwester von Friedrich Adolph August Struve (1781-1840), Besitzer der Salomonisapotheke, später Mineralwasserfabrikant in Dresden
E 1. Tochter des St. Petersburger Buchhändlers Wilhelm Gräff (1781-1839)
2. Emma LERCHE (1822-1848), Tochter des im Innenministerium tätigen Juristen Gustav Lerche (1789-1867), Eheschließung 1846.
N Tochter aus erster Ehe (* 10.3.1840)
Karl Alfred Theodor Fritzsche (1846-1917), später Leiter der Mineralwasserfabrik in Frankfurt/Main
   
A Bis zu seinem 14. Lebensjahr Privatunterricht und fünf Jahre lang danach pharmazeutische Ausbildung in der der Salomonisapotheke in Dresden, die im Besitz seines Onkels, Friedrich Adolph August STRUVE, war. Dann siedelte er nach Berlin über, arbeitete zweieinhalb Jahre im Laboratorium der Apotheke von Johann Gottfried August HELMING (1770-1830), ehe er 1830 Assistent im Laboratorium des berühmten Berliner Chemikers Eilhard MITSCHERLICH wurde, mit dem ihn eine lebenslange, allerdings vor allem auf Briefe (Online Ressource) und seltene Besuche FRITZSCHEs in Deutschland beschränkte Freundschaft verband. Dem Einfluss MITSCHERLICHs muss man es zuschreiben, dass sich FRITZSCHE 1831 an der philosophischen Fakultät der Universität Berlin immatrikulieren ließ, nachdem er dort schon ein Jahr lang Vorlesungen gehört hatte. Zu seinen Lehrern gehörten neben MITSCHERLICH der Chemiker und Apotheker Heinrich ROSE, der Mineraloge Gustav ROSE, der Zoologe Martin Heinrich Karl LICHTENSTEIN (1780-1857) und der Botaniker Karl Sigismund KUNTH (1788-1850), die außer KUNTH korrespondierende Mitglieder der St. Petersburger Akademie waren. Schon nach einem Jahr Studium an der Universität legte FRITZSCHE 1832 seine erste wissenschaftliche Publikation vor [GPV 1] und erwarb 1833 den Dr. phil. mit einer botanischen Arbeit [GPV 2]. Erst danach veröffentlichte er seine ersten chemischen Arbeiten [GPV 3, 4].
B 1833 war für die wissenschaftliche und persönliche Entwicklung des fast 25-jährigen FRITZSCHE ein sehr bedeutsames Jahr, denn nach seiner Promotion wurde er am 3. August 1833 von dem damaligen Präsidenten Christian Gottfried Daniel NEES VON ESENBECK (1776-1856) in die Akademie der Naturforscher Leopoldina aufgenommen (Q). Außerdem machte ihm sein Onkel STRUVE, der Begründer der Methode zur Herstellung künstlicher Mineralwässer, die vor allem die Wässer der böhmischen Heilquellen in Marienbad und Karlsbad nachbilden sollten, das Angebot, die Leitung der neu gegründeten Anstalt zur Herstellung künstlicher Mineralwässer in St. Petersburg zu übernehmen. Nach anfänglichem Zögern entschloss er sich, auch unterstützt durch den Rat seines Lehrers MITSCHERLICH, das Angebot seines Onkels anzunehmen und nach Russland überzusiedeln.
Zehn Briefe von FRITZSCHE aus St. Petersburg an seinen Lehrer MITSCHERLICH in Berlin aus den Jahren 1833 bis 1862, die sich im Nachlass von MITSCHERLICH, der im Archiv des Deutschen Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik München befindet, aufbewahrt werden (Q), stellen die einzige bisher bekannte deutschsprachige Primärquelle zu seinem Leben und seiner Tätigkeit in St. Petersburg dar (veröffentlicht in: Pfrepper 2008, 41-75).
In seinem ersten Brief aus St. Petersburg vom 29. Dezember 1833/10. Januar 1834 beschreibt FRITZSCHE MITSCHERLICH seine viertägige Reise, die ihn am 12./24. Oktober 1833 von Lübeck aus mit dem Dampfschiff nach St. Petersburg brachte (Q, HS 00447, Brief Nr. 1). FRITZSCHE berichtet weiter, dass ihn ein Empfehlungsschreiben des russischen Finanzministers Graf Georg von CANKRIN (1774-1845) von den Schikanen der Zollbeamten befreit habe, außerdem schreibt er über den sehr freundlichen, kollegialen Empfang in St. Petersburg durch Hans Rudolf HERMANN, den technischen Direktor der STRUVEschen Mineralwasseranstalt in Moskau, und Martin MEYER, den Oberarzt der St. Petersburger Mineralwasseranstalt. FRITZSCHE erwähnt, dass er sich schnell in St. Petersburg eingelebt habe und ihm für chemische Experimente in seiner Wohnung ein Laboratorium zu Verfügung stehe, das er sich nach dem Vorbild des MITSCHERLICHen Labors einrichten werde. Er ist zuversichtlich, dass die neue Mineralwasseranstalt guten Erfolg haben wird, da sie in einem großartigen Stil eingerichtet wird und vor allem, da sowohl der Kaiser NIKOLAJ I. (1796-1855, reg. ab 1825) und die Kaiserin ALEKSANDRA FЁDOROVNA (1798-1860, geb. Friederike Luise Charlotte Prinzessin von Preußen) als auch der Zarenhof sich für die Anstalt interessieren und sie benutzen wollen.
Die Zuversicht FRITZSCHEs über den Erfolg der vor ihm liegenden Tätigkeit in Russland war durchaus berechtigt, denn die 1833 gegründete, mit Kaiserlichen Mitteln ausgestattete Mineralwasseranstalt in St. Petersburg, war die größte der vierzehn Anstalten in Europa, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Firma STRUVE eingerichtet wurden.
FRITZSCHE konnte sich sehr schnell in das wissenschaftliche Leben St. Petersburgs integrieren, dabei halfen ihm Empfehlungsbriefe, aber auch die große Gastfreundschaft der hier lebenden Deutschen. Besonders wertvoll für ihn und entscheidend für seine Zukunft war die Bekanntschaft mit Hermann Heinrich HESS, dem Akademiemitglied für Chemie, der ihn in den Kreis der Akademiemitglieder und Professoren einführte, die regelmäßig alle 14 Tage in seinem Haus zusammenkamen, um über ihre wissenschaftlichen Forschungen zu diskutieren. FRITZSCHE lernte auch den einflussreichen Metallurgen und Chemiker Pëtr Grigor'evič SOBOLEVSKIJ (1782-1841) kennen, der sich große Verdienste bei der Herstellung von Platin in Russland erworben hatte und als Direktor dem Laboratorium des Berginstitutes vorstand.
FRITZSCHE genoss von Beginn an die Förderung durch HESS und wurde nach dessen Tod sein Nachfolger als ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg für Chemie. Zweifellos hatte HESS die wissenschaftliche Begabung und außerordentliche Arbeitsfähigkeit von FRITZSCHE erkannt.
In St. Petersburg begann FRITZSCHE sofort, seine in Deutschland begonnenen chemischen Untersuchungen fortzusetzen und berichtete MITSCHERLICH fast bis zu dessen Tod in größeren Abständen über die Fortschritte und Schwierigkeiten bei seinen chemischen Arbeiten. Die Thematik seiner Untersuchungen ist dabei, wie bei den meisten seiner Zeitgenossen, bedingt auch durch die stürmische Entwicklung aller Zweige der Chemie in dieser Zeit, sehr vielfältig und reicht von der anorganischen Analytik bis zur Synthese neuer organischer Stoffe und deren Charakterisierung.
In seinem ersten Brief beklagt er sich, dass er mit seinen Dienstaufgaben für die Mineralwasseranstalt, die in der Reinigung der verschiedenen Mineralsalze und der Zubereitung der Präparatelösungen bestehen, noch nicht beginnen könne, da das ihm zur Verfügung stehende Laboratorium noch nicht mit den notwendigen Chemikalien und Geräten ausgestattet sei. Nach dessen Ausrüstung profitierte er aber davon, dass ihm in der Mineralwasseranstalt ein gut ausgestattetes Laboratorium zur Verfügung stand, in dem er eigenständig und unabhängig seine wissenschaftlichen Untersuchungen durchführen konnte.
Da es oft schwierig bis unmöglich war, in Russland Geräte für das chemische Arbeiten im Labor zu erhalten, nutzte FRITZSCHE jede Möglichkeit, auch in den Briefen an MITSCHERLICH, um Bestellungen in Deutschland in ausgewiesenen Werkstätten aufzugeben. Dabei übermittelte er oft auch die Wünsche von russischen Kollegen, z.B. von SOBOLEVSKIJ und Joseph Christian HAMEL, die Mikroskope und Waagen in Berlin bestellten.
Am 29. Januar 1836 trug FRITZSCHE das erste Mal seine Forschungsergebnisse in der Physiko-mathematischen Klasse der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg vor, diese Ergebnisse sind auch Gegenstand seiner ersten Veröffentlichung im Bulletin scientifique, publ. par l'Académie Impériale des Sciences de Saint-Pétersbourg. Insgesamt hielt er bis 1870, ein Jahr vor seinem Tode, vor der Akademie 64 wissenschaftliche Vorträge über seine chemischen Arbeiten. Durch seine Aktivitäten festigte sich seine Stellung in St. Petersburg, so dass er am 30. September 1838 MITSCHERLICH über zwei positive Veränderungen in seinem Leben informieren konnte. Bereits am 24. August 1838, d. h. viereinhalb Jahre nach seiner Ankunft in St. Petersburg, hatte ihn die Akademie zum Adjunkten für Chemie gewählt, die verzögerte Mitteilung erklärte er MITSCHERLICH damit, dass er erst die Bestätigung seiner Wahl durch den Kaiser abwarten wollte. Die Aufnahme in die Akademie eröffnete FRITZSCHE neue Möglichkeiten für seine wissenschaftliche Arbeit, denn neben der Anerkennung brachte ihm die Stellung bei der Akademie ein Jahresgehalt von 2.500 Rubel, 1.200 Rubel Quartiergeld, 600 Rubel Zulage für das Laboratorium und 1.000 Rubel für die Durchführung von Experimenten ein. Eine besondere Vergünstigung bestand darin, dass ihm gestattet wurde, seine bisherige Position als Direktor der Mineralwasseranstalt beizubehalten. Die durch die Aufnahme in die Akademie gewonnene materielle Sicherheit gab ihm die Möglichkeit, endgültig an einen längeren Aufenthalt in St. Petersburg zu denken und seine Braut, die Tochter des St. Petersburger Buchhändlers Wilhelm GRÄFF (1781-1839), zu heiraten. In dieser ersten Ehe FRITZSCHEs wurde am 10. März 1840 eine Tochter geboren. Im Brief an MITSCHERLICH, den er ihm zwei Wochen später schrieb, berichtet FRITZSCHE überglücklich über den Familienzuwachs.
Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete FRITZSCHE 1846 die aus St. Petersburg stammende Emma LERCHE (1822-1848), die Tochter des im Innenministerium tätigen Juristen Gustav LERCHE (1789-1867). Sein Sohn aus dieser Ehe, Karl Alfred Theodor FRITZSCHE (1846-1917), wurde später Leiter der Mineralwasserfabrik in Frankfurt/Main. Nach dem frühen Tod auch seiner zweiten Frau 1848 blieb FRITZSCHE Witwer, neben seiner Tätigkeit als Direktor der Mineralwasseranstalt sowie seiner Forschungsarbeit in der Akademie lastete auch die Sorge um die Erziehung der Kinder allein auf ihm. Im Winter 1856 erkrankten beide Kinder lebensgefährlich an Scharlach, er entschuldigt sich am 10. April im Brief an MITSCHERLICH, dass er wegen der Sorge und Pflege seiner Kinder ihm leider keine neuen wissenschaftlichen Ergebnisse mitteilen könne.
Später wohnten die Kinder offenbar bei Verwandten in Deutschland, denn FRITZSCHE schreibt 1862 in seinem Brief an MITSCHERLICH, dass er anlässlich einer Dienstreise nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin beabsichtige, seinen Sohn in Dresden und seine Tochter in Bad Kreuznach zu besuchen.
Nach der Wahl zum Adjunkt verlief auch die weitere berufliche Karriere FRITZSCHEs in der Akademie sehr erfolgreich, bereits am 6. April 1844 erfolgte seine Wahl zum außerordentlichen Akademiemitglied und nach dem frühen Tod von HESS wählte man ihn am 10. April 1852 zum ordentlichen Akademiemitglied für Chemie. Die Chemiker in Russland und Deutschland standen in regem Erfahrungsaustausch. Es wurden nicht nur Geräte und Chemikalien aus Deutschland importiert, sondern es fand auch ein reger Ideen- und Apparateaustausch unter den Kollegen beider Länder statt. Ein Beispiel ist der Verbrennungsapparat von HESS, der von FRITZSCHE bei seinen organisch-chemischen Arbeiten mit großem Erfolg zur Elementaranalyse genutzt wurde. Auf die fundamentale Bedeutung der Elementaranalyse für den Fortschritt der Chemie organischer Verbindungen hat LIEBIG in diesen Jahren wiederholt hingewiesen. Im Brief vom 24. April 1838 schreibt FRITZSCHE über die guten Erfahrungen, die er bei seinen Analysen mit dem Apparat von HESS gemacht hat und dass er MITSCHERLICH dessen Benutzung empfiehlt. Außerdem sei HESS bereit, MITSCHERLICH eine detaillierte Zeichnung des gesamten Apparates sowie die dazugehörigen Teile aus St. Petersburg zu schicken. Einem späteren Brief von FRITZSCHE ist zu entnehmen, dass MITSCHERLICH der Empfehlung FRITZSCHEs gefolgt ist und bei seinen Analysen organischer Stoffe den HESSschen Apparat verwendet hat.
WL FRITZSCHE war, wie die meisten Naturwissenschaftler der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nicht nur Chemiker und Pharmazeut; man kann ihn durchaus auch als Naturforscher bezeichnen, denn seine wissenschaftlichen Interessen lagen auf verschiedenen Gebieten.
In der organischen Chemie beschäftigte er sich mit den Derivaten von Harnsäure und Indigo, später lange Zeit mit den Alkaloiden der Steppenraute (Peganum harmala) und in den 1860er Jahren mit der Chemie von Kohlenwasserstoffen. Die Analytik von Mineralwasser und die Bildung von Doppelsalzen verschiedenster anorganischer Salze gehörten ebenso zu seinen Interessengebieten wie erste fotochemische Untersuchungen, über die er am 23. Mai 1839 in dem Vortrag Bericht über heliographische Versuche in der St. Petersburger Akademie sprach. FRITZSCHE modifizierte das 1835 von William Henry Fox TALBOT (1800-1877) entwickelte fotografische Negativ-Positiv-Verfahren, indem er das Natriumthiosulfat zur Fixierung durch Ammoniak ersetzte und schlug dieses Verfahren den Botanikern zur Pflanzenfotografie vor, damit sie gegenüber den bislang üblichen Zeichnungen originalgetreuere Abbildungen für ihre Herbarien anfertigen könnten. Die Anregung zu diesen Untersuchungen erhielt FRITZSCHE durch die Akademiemitglieder Karl Ernst von BAER, Johannes Friedrich BRANDT (1802-1879) sowie durch Informationen von HAMEL, der bei seinem Aufenthalt in England 1839 von der Akademie den Auftrag erhielt, über das Wesen der neuen Erfindung Kalotypie (Talbotypie) und die Möglichkeiten zur Anwendung für wissenschaftliche Arbeiten Informationen einzuholen. HAMEL schickte aus London Beschreibungen des fotografischen Prozesses und notwendige Materialien nach St. Petersburg (Elagina 1958, 240; Radovskij 1948.).
FRITZSCHE veröffentlichte die Ergebnisse seiner Untersuchungen nahezu ausschließlich in deutscher Sprache, anfangs in den Annalen der Physik und Chemie, seit 1836 im Bulletin scientifique der St. Petersburger Akademie, die Mehrzahl der Arbeiten auch im Journal für praktische Chemie und in der Zeitschrift für Chemie. Wie damals üblich, gab es neben Originalarbeiten auch Referate seiner Arbeiten in den Annalen der Pharmacie bzw. Annalen der Chemie und Pharmacie.
Vor seinen Forschungen zur organischen Chemie hatte sich FRITZSCHE vor allem mit anorganischer und analytischer Chemie beschäftigt, was in direktem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Direktor der Mineralwasserfabrik stand, da zur Produktion von künstlichen Mineralwässern große Mengen unterschiedlicher Mineralsalze benötigt wurden, die hergestellt und analysiert werden mussten. Die allen Mineralwasserflaschen zugesetzte Kohlensäure wurde durch Zersetzung von Calcium- oder Magnesiumcarbonat, die in der Natur in großen Mengen vorkommen, mit Schwefelsäure vor Ort produziert.
Die Untersuchungen von Doppelsalzen beschäftigten FRITZSCHE mehr als 30 Jahre. Die erste Arbeit publizierte er 1833 über die Verbindungen von Calciumchlorid mit essigsaurem und oxalsaurem Kalk, die letzte Arbeit über Doppelsalze im Jahr 1864. Untersucht wurden im Einzelnen die Bildung der Doppelsalze von Eisen(III)chlorid mit Kalium- und Ammoniumchlorid, von Natriumbromid und Natriumbromat, von Natrium- und Calciumsulfat, von Calciumchlorid und Calciumcarbonat sowie die Bildung von künstlichem Gay-Lussit, einem Doppelsalz aus Natrium- und Calciumcarbonat [GPV 3 (1833), 18 (1840), 53 (1857), 54 (1858), 61 (1861), 68, 70 (1864)]. In einigen Fällen erfolgte in Kooperation mit den Mineralogen Nils Gustav NORDENSKIÖLD (1792-1866) und Nikolaj Ivanovič KOKŠAROV auch die Bestimmung der Kristallparameter.
Im August 1842 reiste FRITZSCHE als Mitglied einer Kaiserlichen Kommission zur Erforschung der kaukasischen Mineralwässer in den Kaukasus, die russische Regierung hatte ihn als Spezialisten für die Analyse von Mineralwasser in diese Kommission berufen. Ein halbes Jahr später beschreibt FRITZSCHE MITSCHERLICH sehr ausführlich seine Eindrücke der Kaukasusreise. Zunächst schreckte ihn die unangenehme Aussischt, eine große Zahl von Mineralwasseranalysen (insgesamt hat er die Zusammensetzung von 25 Mineralquellen untersucht). machen zu müssen, nahm das Angebot aber doch an. Er erhoffte sich dadurch auch mit Regierungsvertretern in Kontakt zu kommen und dabei auch einen großen Teil von Russland kennen zu lernen.
Die gute Erfüllung dieses wichtigen Regierungsauftrags, der für die weitere ökonomische Entwicklung der reichen Mineralquellen des Kaukasus große Bedeutung hatte, war für seine weitere Karriere in Russland sehr nützlich.
Die Arbeiten FRITZSCHEs auf dem Gebiet der organischen Chemie haben bis heute ihre Bedeutung nicht verloren [GPV 15 (1839), 22 (1840), 24 (1841), 28, 30 (1843), 32 (1844)]. Er fand bei seinen Untersuchungen zum Indigo das Anilin und die Anthranilsäure, die heute bei organischen Synthesen in der chemischen Industrie eine große Rolle spielen, und beschäftigte sich fast 30 Jahre mit den aromatischen Kohlenwasserstoffen.
Die erste Arbeit FRITZSCHEs mit organisch-chemischer Thematik ist dem Studium der Reaktion von Harnsäure mit Salpetersäure gewidmet. Im Winter 1837/38 beschäftigte sich FRITZSCHE mit der Analyse der Zersetzungsprodukte der Harnsäure und entdeckte das Uroxin (Alloxantin), das er in seiner Veröffentlichung von 1838 beschrieb [GPV 12 (1838)]. Im Brief an MITSCHERLICH vom April 1838 ist er etwas in Sorge, dass Justus LIEBIG und Friedrich WÖHLER, die auch wieder über die Zersetzungsprodukte der Harnsäure arbeiten, seine Veröffentlichung nicht rechtzeitig erhalten könnten.
Die Publikation zu Uroxin löste später eine heftige Kontroverse mit LIEBIG aus, jedoch beweist der Brief FRITZSCHEs, dass LIEBIG mit dem Vorwurf, FRITZSCHE habe die Ergebnisse anderer Chemiker aufgegriffen, im Unrecht war.
FRITZSCHE hielt am 5. März 1841 in der Physiko-mathematischen Klasse der Akademie einen Vortrag, den er folgendermaßen begann:

"In meiner Abhandlung über das Anilin [GPV 22 (1840)] habe ich leider damals das von Unverdorben entdeckte Krystallin übersehen, sonst wurde [sic!] ein Blick auf die Eigenschaften desselben hingereicht haben, es ohne weiteres für identisch mit dem von mir auf anderem Wege erhaltenen Körper zu erklären. Das Anilin ist in der That nichts anderes als Unverdorben's Krystallin, wenn ich aber dennoch für dasselbe den neuen Namen beibehalte, so geschieht es, weil dieser unstreitig geeigneter ist, zum Ausgangspuncte für die Nomenclatur der ihm verwandten Körper zu dienen, als der alte, den schon Berzelius nicht gut gewählt nennt" [GPV 24 (1841)].

Auf die mögliche Identität von Krystallin und Anilin hatte Otto Linné ERDMANN (1804-1869), der Herausgeber des Journals für praktische Chemie, bereits 1840 in einer Notiz zu FRITZSCHEs Arbeit hingewiesen. Die Base "Anilin" wurde von Otto UNVERDORBEN (1806-1873) "Krystallin", von Friedlieb Ferdinand RUNGE (1794-1867) "Kyanol" und von Nikolaj Nikolaevič ZININ "Benzidam" genannt. August Wilhelm HOFMANN konnte 1843 in LIEBIGs Labor beweisen, dass alle diese Substanzen mit FRITZSCHEs Anilin, dessen Name heute noch verwendet wird, identisch sind (Pfrepper 2008, 29).
Die Arbeit zum Benzidam von ZININ, der zu dieser Zeit Professor für chemische Technologie der Universität Kazan' war, erschien im Bulletin scientifique der Akademie am 19. Juni 1842, bereits am 24. Juni 1842 reichte FRITZSCHE dem Bulletin die folgende Bemerkung ein, die am 5. Juli im Druck erschien: "Der höchst interessanten Abhandlung des Herrn Sinin muss ich die Bemerkung nachschicken, dass die in derselben unter dem Namen Benzidam als neu bezeichnete Base nichts anderes als Anilin ist. In seinen Eigenschaften sowohl als auch in der Zusammensetzung und der Constitution seiner Salze stimmt das Benzidam so vollkommen mit dem Anilin überein, dass gar kein Zweifel über ihre Identität obwalten kann" [GPV 27 (1842)]. HOFMANNs Schüler William Henry PERKIN (1838-1907) stellte 1856 durch Oxidation des unreinen Anilins den ersten synthetischen Farbstoff "Mauvein" her, was nach dem Auffinden weiterer Anilinfarben den Beginn der chemischen Farbstoffindustrie einleitete, die sich in wenigen Jahren zu einer Großindustrie entwickelte.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Untersuchungen von FRITZSCHE zur Chemie des Indigo ist die Entdeckung der Anthranilsäure, die er bei der Einwirkung von Kalilauge auf Indigo erhielt [GPV 24 (1841)]. LIEBIG schrieb über diese Arbeit:

"Die vorstehenden Versuche von Fritzsche halte ich, in Hinsicht auf die Entdeckung der Anthranilsäure und ihr Verhalten in der trockenen Destillation, für ganz besonders interessant und ihre Bestätigung erschien mir zur Festsetzung der Constitution des Indigo [...] so wichtig und nothwendig, dass mich diese zu einigen Versuchen bestimmte (Liebig 1841).

Fast 25 Jahre seines Lebens, von 1840 bis 1863, beschäftigte sich FRITZSCHE mit Alkaloidforschungen, speziell mit Untersuchungen zu den Samen der turkestanischen Steppenraute (Peganum harmala) und publizierte darüber zehn Arbeiten [GPV Nr. 36, 38, 39, 40 (1848), 42 (1849), 43 (1850), 47 (1853), 48, 49 (1854), 63 (1863)]. 1840 wurde FRITZSCHE von den Ministerien der Finanzen und der Reichsdomänen mit der Untersuchung dieser Samen beauftragt und mit dem nötigen Material ausgestattet. In dem Auftrag ging es speziell um die Entwicklung eines Verfahrens zur Gewinnung des roten Farbstoff aus dem farblosen Samen, denn bereits 1837 waren in der russischen und ausländischen Fachpresse Mitteilungen über einen aus diesen Samen gewonnenen roten Farbstoff erschienen. Über die von ihm durchgeführten Versuche machte FRITZSCHE in der Konferenz der Akademie am 26. Juni 1840 allerdings nur eine mündliche Mitteilung. Die erste Publikation FRITZSCHEs zu diesem Thema erschien 1848, seine Ergebnisse schildert er MITSCHERLICH schon vorab. Seine Abhandlung über die Harmalasamen sei jetzt bereits im Druck [GPV 36 (1848)], aber das Harmalin habe eine andere Formel als die von Franz VARRENTRAPP (1815-1877) und Heinrich WILL (1812-1890) angegebene und sei C27H28N4O2.
Der von FRITZSCHE gefundene Wert für die Zusammensetzung von Harmalin kommt dem theoretischen Wert von C26H28N4O2 (heute C13H14N2O) sehr nahe, berücksichtigt man, dass den Analysendaten die damals aktuellen Atomgewichte von BERZELIUS zugrunde lagen (spätere Analysen haben die Werte von FRITZSCHE bestätigt). Die von VARRENTRAPP und WILL angegebenen Werte von C24H26N4O sind für Stickstoff deutlich zu hoch, die Autoren machen dafür die mangelnde Reinheit des analysierten Harmalins verantwortlich. Dazu ist anzumerken, dass auch von anderer Seite die Anwendbarkeit dieser Methode der Stickstoffbestimmung für heterocyclische Verbindungen in Frage gestellt wurde.
Neben dem Harmalin isolierte FRITZSCHE aus dem Samen der Steppenraute ein weiteres Alkaloid, das er Harmin nannte und in seinen chemischen Eigenschaften charakterisierte, die pharmakologische Wirkung beider Alkaloide wurde später eingehend untersucht. Seine Versuche zum Harmalarot konnten den Chemismus der Bildung des roten Farbstoffs nicht klären, jedoch trugen seine zahlreichen Experimente zur Darstellung von Derivaten durch Anlagerung von Cyanwasserstoffsäure, Nitrierung und Salzbildung dazu bei, den chemischen Charakter der neuen Alkaloide aufzuklären.
Einen weiteren Schwerpunkt der wissenschaftlichen Tätigkeit von FRITZSCHE auf dem Gebiet der organischen Chemie bilden insgesamt vierzehn Arbeiten zur Chemie der Kohlenwasserstoffe, die er im Zeitraum von 1858 bis 1869 publizierte [GPV 55, 56, 57 (1858), 58, 59 (1859), 60 (1861), 72, 73 (1866), 75, 76 (1867), 77, 78 (1868), 79, 80 (1869)] und teilweise parallel zu seinen Untersuchungen über die Harmala-Alkaloide durchgeführt hat.
Ausgangsstoffe für seine Arbeiten zu den Kohlenwasserstoffen, die vor allem seinen letzten Lebensabschnitt bestimmten, waren Steinkohlenteeröl und Holzkohlenteer. Im Brief vom 18. Januar 1856 berichtet FRITZSCHE, dass er aus England eine große Menge Steinkohlenöl bezogen habe, das ihm als Ausgangsstoff für seine weiteren Untersuchungen dienen soll. Zunächst habe er daraus Phenol erhalten und beabsichtige nun, durch Einwirkung von Salpetersäure denselben Stoff darzustellen, den er lange Zeit zuvor schon aus Indigo und Salpetersäure gewonnen hatte [GPV 15 (1839)]. Da trotz der Arbeit von HOFMANN keine detaillierten Untersuchungen zur (mono)Nitrophensäure (Nitrophenol, siehe [GPV 56 (1858), 59 (1859)]) vorliegen, so wolle er seine alten Rechte geltend machen. Er habe auch vor, gemeinsam mit den unlängst für die Akademie gewonnenen Kristallographen KOKŠAROV, das schön kristallisierte Silbersalz kristallographisch zu untersuchen.
1858 bemerkte FRITZSCHE, dass einige der Produkte der Destillation von Steinkohlenteer, wie z.B. Benzol, Naphthalin und Pyren mit Pikrinsäure gut kristallisierende Verbindungen ergeben, die aufgrund ihres definierten Schmelzpunktes zur Charakterisierung von Kohlenwasserstoffen geeignet sind [GPV 55 (1858)]. Die Reaktion mit Pikrinsäure benutzte er auch, um das bei der Destillation von Holzkohlenteer erhaltene Reten zu identifizieren [GPV 58 (1859), 60 (1861)]. Von großer Bedeutung sind auch die Untersuchungen zum Anthracen, das FRITZSCHE mit Phosen bezeichnete [GPV 72 (1866), 76 (1867), 77 (1868), 79, 80 (1869)]. Bei dessen Nitrierung erhielt er 2,7-Dinitro-anthrachinon, das ähnlich wie Pikrinsäure zum Nachweis von Kohlenwasserstoffen geeignet ist und als "Fritzsches Reaktiv" bezeichnet wird [GPV 75 (1867)].
Aus den Briefen an MITSCHERLICH erfährt man aber nur noch wenig über diese Arbeiten, da FRITZSCHE, wie er in seinem vorletzten Brief vom 18. Januar 1856 bedauernd schreibt, infolge der zunehmenden Belastung durch seine Verpflichtungen als ordentliches Akademiemitglied und Mitglied zahlreicher Gesellschaften von den wissenschaftlichen Arbeiten abgezogen wird.
Die Akademiemitglieder mussten auf ihrem speziellen Fachgebiet im Rahmen der Industrialisierung Russlands Aufträge der Regierung annehmen. So übernahm FRITZSCHE 1853 die Leitung der Gesellschaft, die in der Nähe von Boroviči im Gouvernement Novgorod ein Werk für die Verarbeitung von Schwefelkies zu Schwefel und Schwefelsäure errichtete. 1854 wurde FRITZSCHE zum Direktor der St. Petersburger Gesellschaft zur fabrikmäßigen Verarbeitung von tierischen Produkten gewählt (Solov'ev 1985, 123). Zu den Verpflichtungen der Akademiemitglieder gehörte auch, alljährlich die eingereichten Arbeiten zur Vergabe der DEMIDOV-Preise zu begutachten und Empfehlungen für die Auszeichnung zu geben. FRITZSCHE schrieb in den Jahren 1846 bis 1863 eine Reihe von Gutachten, u. a. mit HESS, ZININ, Heinrich Friedrich Emil von LENZ (1804-1865), Moritz Hermann JACOBI (1801-1874) und Pavel Antonovič IL'ENKOV [GPV 34 (1846), 46 (1852), 51, 52 (1855), 62 (1862), 66 (1863)].
Vor seiner Reise 1862 im dienstlichen Auftrag der russischen Regierung nach Deutschland schreibt FRITZSCHE an MITSCHERLICH, dass er zum Mitglied einer Kommission für die Gesetzgebung zur Akzisebefreiung im Salzwesen in Russland gewählt worden sei und sich von MITSCHERLICH Unterstützung bei der Suche nach Mitteln zur Ungenießbarmachung von Fabrik- und Viehsalz für Menschen erhoffe.
Aufgrund der zunehmenden Belastung mit Regierungsaufträgen und Verwaltungsaufgaben, die eine qualifizierte Forschung der für die Chemie zuständigen Akademiemitglieder gefährdeten, machten FRITZSCHE und ZININ in der Sitzung der Physiko-mathematischen Klasse der Akademie am 18. November 1869 den Vorschlag, die Anzahl der Chemiker in der Akademie zu erhöhen. Sie begründeten den Vorschlag mit der zunehmenden Bedeutung der Chemie und den sich daraus ergebenden wachsenden Aufgaben für die beiden Akademiemitglieder. Am 2. Dezember 1869 sprach ZININ erneut zu diesem Problem. Daraufhin wurde am 16. Dezember 1869 Aleksandr Michajlovič BUTLEROV zum Adjunkt für Chemie gewählt. (Die Ernennung BUTLEROVs zum Adjunkt erfolgte am 6. März 1870, am 3. Dezember 1871 wurde er zum außerordentlichen und am 18. Januar 1874 zum ordentlichen Mitglied für Chemie der Akademie der Wissenschaften St. Petersburgs gewählt).
Über eine Lehrtätigkeit von FRITZSCHE war bisher nichts bekannt. Aus einem Brief an MITSCHERLICH von 1840 und den Eintragungen von Dmitrij Ivanovič MENDELEEV in sein Tagebuch 1861 wird aber ersichtlich, dass FRITZSCHE sowohl Vorlesungen an der Akademie der Wissenschaften als auch an der Pädagogischen Hochschule in St. Petersburg, wo MENDELEEV studierte, gehalten hat, die ihm sehr viel Spaß gemacht haben, da er sie ganz nach dem Vorbilde MITSCHERLICHs aufgebaut hatte.
FRITZSCHEs Karriere in St. Petersburg ging kontinuierlich voran, für seine Leistungen und sein Engagement ehrte man ihn 1847 mit der Ernennung zum Kollegienrat, bereits 1848 wurde er Staatsrat, zehn Jahre später Wirklicher Staatsrat. FRITZSCHE war Ritter des Kaiserlichen Russischen St. Annenordens zweiter Klasse mit der Kaiserlichen Krone, erhielt den Kaiserlich-Königlichen St. Stanislausordens zweiter Klasse, war Inhaber des Ritterkreuzes des Königlich-Russischen Albrechtsordens sowie der Kaiserlich-Russischen Medaille am Andreasbande für die Kriegsjahre 1853 bis 1856. (Fritzsche, der am Krimkrieg 1853-1856 nicht aktiv teilgenommen hatte, erhielt die Medaille für seine Sonntagsvorlesungen. Zu Beginn des Krimkrieges wandte er sich an das Ministerium für Volksaufklärung mit der Bitte, ihm zu gestatten, an Sonntagen öffentliche Chemie-Vorlesungen zu halten, um den Erlös vollständig in den Fond "Sonderausgaben im Kriegsfall" zu spenden).
FRITZSCHE zu Ehren wurde in Anerkennung seiner Verdienste um die chemische Kenntnis der Minerale ein seltenes Uranit-Mineral, das im sächsischen Erzgebirge vorkommt, mit dem Namen "Fritzscheit" belegt (Fritzscheit ist ein Manganuranit der Zusammensetzung Mn(UO2)2[(P, V)O4]2x10H2O, erstmals beschrieben von dem Freiberger Mineralogen August BREITHAUPT (1791-1873), in der Berg- und Huettenmännische Zeitung 24 (1865), 302-303).
Gegenüber Russland verhielt sich FRITZSCHE loyal, durch sein wissenschaftlichen Leistungen und Kollegialität erwarb er sich die Achtung der führenden russischen Chemiker. Er brachte sich aktiv in die gesellschaftliche Tätigkeit ein und nahm am Ende seines Lebens die russische Staatsbürgerschaft an. 1870 verlieh man ihm den russischen erblichen Adel, in einer Zeit, in der die nationalistischen Tendenzen in der Chemie in Deutschland und Frankreich, aber auch in Russland zunahmen.
Nikolaj Nikolaevič BEKETOV, seit 1886 Nachfolger von BUTLEROV als Akademiemitglied für Chemie, äußerte sich in einer Festschrift zum 150. Jahrestag der Gründung des ersten chemischen Labors in Russland insbesondere über das Verhältnis von FRITZSCHE zu den russischen Chemikern seiner Zeit:

"Nachfolger von Hess als Akademiemitglied für Chemie wurde Fritzsche - ein scharfsinniger Beobachter. [...] Fritzsche war immer besonders aufmerksam und liebenswürdig zu den russischen Chemikern und bemühte sich, russische Wissenschaftler für die Akademie zu gewinnen. So wurde auf seine Initiative Nikolaj Nikolaevič Zinin vorgeschlagen und gewählt, nach einigen Jahren dann Aleksandr Michajlovič Butlerov. [...] Ergänzen möchte ich diese Geschichte der chemischen Laboratorien in Petersburg durch den Hinweis, dass es, wie ich mich erinnere, noch drei private Petersburger Laboratorien gab. Anfang der 1850er Jahre, d. h. von 1852 bis 1856, gründete der Professor für technische Chemie der St. Petersburger Universität, Pavel Antonovič Il'enkov, ein privates Labor, das für die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Chemie gut ausgerüstet war. Dort arbeitete neben Il'enkov auch Nikolaj Nikolaevič Sokolov, später Professor der Petersburger und Odessaer Universität. In diesem Laboratorium, das sich in der Wohnung Il'enkovs befand, versammelte sich in den Jahren 1854 bis 1855 ein Kreis von Chemikern, um über ihre Arbeiten zu diskutieren. Das war sozusagen der Anfang oder besser gesagt der Vorläufer der Russischen Chemischen Gesellschaft, die dann 14 Jahre später gegründet wurde. An diesem Kreis nahmen teil: Il'enkov, Sokolov, Fritzsche, Zinin, Šiškov, Engel'gard, der Professor am Gornij institut Ivanov und der Autor dieser Zeilen" (Übersetzung aus dem: Beketov 2004, 4-5).

Eine enge Freundschaft verband FRITZSCHE mit MENDELEEV, der am 21. August 1861 eine längere Passage über ihn in sein Tagebuch eintrug:

"Gegen 4 Uhr begann man sich bei Fritzsche zu versammeln. Er lud alle ein wegen der Ankunft Beilsteins. Es waren erschienen: Beilstein, Zinin, Struve, Jacobi [...] und der liebenswerte Kokšarov, den ich sehr verehre, Voskresenskij, [...] der junge Lenz, Il'in - das scheinen alle zu sein, (wenn ich mich recht erinnere). Es war herzlich, fröhlich, einfach, liebenswert. Es wurde über das Reisen geredet, über Deutsche, es wurde über vieles gesprochen. [...] Irgendwie kamen wir, d. h. Fritzsche, Šiškov und ich im Arbeitszimmer zusammen und begannen ein Gespräch über die Gründung einer chemischen Gesellschaft bei uns. Dabei äußerten Šiškov und ich, dass kein anderer als Fritzsche die Gesellschaft gründen könne. Aus dem Grund, da er allein über kleinlichen Parteiinteressen steht. Er äußerte sich auch und sagte - hier zeigte sich die ganze Aufrichtigkeit dieses Menschen: "Ich erhielt eine bescheidene Ausbildung, keineswegs so wie ihr. Ich trat mit 13 Jahren als Lehrling in eine Apotheke ein, bis dahin erhielt ich Unterricht nur von einem Lehrer, der mich in allen Fächern unterrichtete [...]. Der Aufenthalt in der Apotheke lehrte mich Manieren. Der Zufall kam mir zu Hilfe, dass ich Assistent von Mitscherlich wurde. Damals begann ich aus Leidenschaft zu arbeiten, schrieb mich als Student ein und nahm alles in mich auf, was ich vermochte. So begann meine Karriere. Was wollt Ihr also von mir? Es übersteigt meine Kräfte über Euch zu stehen. Ich weiß, was ich kann - ja, und Ihr wisst das nicht. Ich arbeite meinen Kräften entsprechend und sammle Fakten. Ich fürchte, Euch in diese Gesellschaft zu führen, um mich nicht in der Zukunft zu kompromittieren. Ich achte von ganzen Herzen Eure Ansichten in dieser Hinsicht. Eure theoretischen Ansichten sind mir manchmal unverständlich. Ich unterstütze den Wunsch, eine Gesellschaft zu haben, ich bin bereit an ihrer Realisierung mitzuwirken, aber ich werde nicht der Kopf von ihr, weil ich sie nicht leiten kann, ich fürchte es zu werden, weil ich nicht überzeugt bin, dass man mich nicht kompromittiert.' Hier zeigt sich der gleiche geradlinige Mensch, den ich als Student beim Examen kennen lernte, der mir die Hand gab und den kleinen Studenten zu sich herein bat und dem Gymnasiallehrer nach Simferopol' und Odessa schrieb" (Übersetzung aus dem Russischen: Mendeleev 1951, 164).

1869 erlitt FRITZSCHE einen Schlaganfall, von dem er sich nicht wieder richtig erholte. Trotz einseitiger Lähmungserscheinungen, die auch die Sprache betrafen, setzte er seine wissenschaftliche Tätigkeit fort und beendete seine Untersuchungen zum Zinn [GPV 81 (1870)]. Die Akademiesitzungen besuchte er nur noch selten und reiste 1870 nach Deutschland, wo er am 13./20. Juni 1871 im Kreise seiner Familie in Dresden starb und auch dort beerdigt wurde.
Im Nekrolog, den sein Nachfolger in der Akademie BUTLEROV am 29. Dezember 1871 in der Jahressitzung der Akademie vortrug, heißt es:

"Seine Beziehungen zu seinen Collegen und Bekannten waren stets die ungetrübtesten, und alle bewahren ihm ein freundliches, beneidenswertes Andenken, als eines Menschen von liebenswürdigem Charakter und gutem Herzen, der stets bemüht war Gutes zu tun" (Butlerow 1872, 135).

Wie das umfangreiche Schriftenverzeichnis (GPV) zeigt, konnte FRITZSCHE am Ende seines Lebens auf ein reiches wissenschaftliches Werk von 81 Publikationen aus verschiedenen Gebieten der Chemie zurückblicken, das er neben seiner Tätigkeit als Leiter der Mineralwasserfabrik in St. Petersburg geschaffen hat. Den Schwerpunkt seiner experimentellen Arbeiten bilden zweifellos die Untersuchungen auf dem Gebiet der Chemie organischer Stoffe, das sich in dieser Zeit insbesondere durch das Wirken von LIEBIG zu einem selbstständigen Teilgebiet der Chemie profiliert hat.
Aus den Briefen an MITSCHERLICH wird deutlich, dass sich FRITZSCHE in den ersten Jahren seines Aufenthalts in St. Petersburg intensiv auch mit methodischen Untersuchungen zur Elementaranalyse beschäftigt hat, speziell mit dem von HESS entwickelten Verbrennungsapparat. Der Vergleich mit Analysendaten anderer Autoren in seinen Arbeiten beweist, dass FRITZSCHE diese Analysentechnik meisterhaft beherrscht hat, nach LIEBIG eine der grundlegenden Voraussetzungen für erfolgreiches organisch-präparatives Arbeiten.
Auf diese Weise hat FRITZSCHE, stets dem Trend der aktuellen chemischen Forschung folgend, eine Reihe wichtiger experimenteller Beiträge zum Verständnis der Umwandlung organischer Stoffe geliefert, so fand er bei der Umsetzung von Indigo mit Salpetersäure das Anilin, entdeckte die Anthranilsäure, die isomeren Nitrophenole und die Reaktion aromatischer Kohlenwasserstoffe mit Pikrinsäure.

"In allen diesen Untersuchungen zeigte sich Fritzsche als einen ungemein emsigen und geschickten Beobachter, dessen Aufmerksamkeit selbst unbedeutende Erscheinungen nicht entgingen. Was von manchem andern Beobachter unbemerkt geblieben wäre, diente ihm zuweilen zum Ausgangspunkt neuer Entdeckungen. [...] Thatsachen auf der Grundlage einer fertigen Theorie vorherzusagen, vermag jeder Chemiker und bedarf es nur weniger Zeit und Mühe - aber die factische Begründung oder Widerlegung einer solchen Prognose erfordert oft ganze Monate oder auch Jahre physischer und geistiger Anstrengungen. Dazu bedarf es der Geduld, der Arbeitsamkeit, der Beobachtungsgabe - dieser kostbaren Eigenschaften eines Naturforschers. Diese Eigenschaften besass Fritzsche in vollem Masse, und die führten ihn zur Entdeckung einiger besonders interessanter Thatsachen, die noch bis jetzt vereinzelt dastehen und der Erklärung harren" (Butlerow 1872, 134).

FRITZSCHE gehörte ohne Zweifel zu den führenden Chemikern seiner Zeit in Russland, man kann ihn in eine Reihe mit den bedeutenden russischen Chemikern Aleksandr Abramovič VOSKRESENSKIJ und Nikolaj Nikolaevič ZININ stellen, die nach Studien in Westeuropa, u.a. bei LIEBIG in Gießen, seit den 1840er Jahren an den Universitäten in St. Petersburg und Kazan' die ersten russischen Schulen der Chemie begründeten, und deren führende Vertreter wie BUTLEROV und BEKETOV nach 1871 als ordentliche Mitglieder für Chemie in die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften St. Petersburgs aufgenommen wurden. BUTLEROV, FRITZSCHEs direkter Nachfolger als Akademiemitglied für Chemie war einer der Schöpfer der modernen Strukturtheorie organischer Verbindungen. Mit FRITZSCHEs Tod endete die seit dem 18. Jahrhundert bestehende Tradition, vor allem deutsche Chemiker und Pharmazeuten als ordentliche Mitglieder für Chemie an die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg zu berufen.
   
M Akademie der Naturforscher Leopoldina (ab 1833) [Q], Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg: Adjunkt (ab 1838), ordentliches Mitglied (ab 1852).
Mitglied des Medizinischen Rates des Innenministeriums, Mitglied der Kommission für Petroleum-Straßenbeleuchtung, Mitglied der Sonderkommission zur Durchführung von Versuchen zur Einführung der elektrischen Straßenbeleuchtung in Russland, korrespondierendes Mitglied des Gelehrtenkomitees des Ministeriums für Staatliches Vermögen, Mitglied des Komitees der St. Petersburger [Industrie]Ausstellung, der St. Petersburger Pharmazeutischen Gesellschaft, des Komitees zum Bau der Isaak-Kathedrale, Mitglied des Verwaltungskomitees der Akademie der Wissenschaften, Mitglied der Freien Ökonomischen Gesellschaft, korrespondierendes Mitglied des Gelehrtenkomitees des Marineministeriums, Mitglied der Königlichen Gesellschaft für nördliche Altertümer Kopenhagen, Mitglied der Kaiserlichen Gesellschaft der Naturforscher zu Moskau, Mitglied des Hamburger Naturwissenschaftlichen Vereins, Mitglied des Physikalischen Vereins in Frankfurt/Main, Ehrenmitglied des Norddeutschen Apothekervereins, ab 1864 Ehrenmitglied der Rigaer Pharmazeutischen Gesellschaft.
GPV Pfrepper 2008, 76-86. Online Ressource.
Q • Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina Halle/Saale, Archiv, MNr. 1371 Fritzsche und Faszikel 28/11/1, Sektio IX, No. 3 d, Bl. 87, 88. Leider gibt es hier keine Wahllisten, in denen bei Wahlhandlungen auch die Vorschlagenden aufgeführt wurden.
• Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina Halle/Saale, Archiv, Faszikel 28/11/1, Sektio IX, No. 3 d, Bl. 88 (Brief von Fritzsche an die Leopoldina vom 29. April 1858).
• Nachlass von Eilhard Mitscherlich im Archiv des Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik München, zehn Briefe von Carl Julius Fritzsche aus St. Petersburg an Eilhard Mitscherlich in Berlin aus den Jahren 1833 bis 1862, HS 00447. Online Ressource.
SL Liste der in der vorliegenden Biobibliographie ausgewerteten Literatur (Pfrepper 2008, 88-90).
Literaturauswahl (aus Pfrepper 2008, 88-90):
• Liebig, Justus: Ueber die Darstellung und Zusammensetzung der Anthranilsäure. Annalen der Chemie und Pharmacie 39 (1841), 91-96.
• Butlerov, Aleksandr Michajlovič: Julij Fedorovič Fricše. Zapiski Imperatorskoj Akademii nauk 20 (1872), 190-204.
• Butlerow, Alexander: Carl Julius Fritzsche. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 5 (1872), 132-136. Online Ressource (15.5.2012).
• Ladenburg, Albert: Fritzsche, Karl Julius F. ADB 8, 1878, 122-123. Online Ressource (15.5.2012).
• Radovskij, M.: Chronika. V komissii po istorii fiziko-matematičeskich nauk akademii nauk SSSR. Uspechi fizičeskich nauk 34 (1948), 4, 610 bis 611.
• Dmitrij Ivanovič Mendeleev: Dnevnik 1861. Naučnoe nasledstvo 2 (1951), 111-212.
• Elagina, K. C.: Ju. F. Fricše. Trudy instituta istorii estestvoznanija i techniki 18 (1958), 236-260.
• Solov'ev, Jurij Ivanovič: Istorija chimii v Rossii. Moskva 1985.
• Pfrepper, Regine: Carl Julius Fritzsche (1808-1871) - Pharmazeut und Chemiker in Dresden, Berlin und St. Petersburg. In: Kaden, Heiner; Riha, Ortrun (Hgg.): Studien zu Carl Julius Fritzsche (1808-1871) und Il'ja Il'ič Mečnikov (1845-1916). Quellenarbeit in der Wissenschaftsgeschichte. Aachen: Shaker 2008 (Relationes 1), 11-90.
Zusätzliche Literatur:
• Regir, V.; Gochnadel', V.: ФРИТЦШЕ (Фрицше) (Fritzsche) Юлий Фeдорович (Карл Юлий). In: Die Deutschen Russlands. Enzyklopädie. Moskau 2006, 684-686. Online Ressource (15.5.2012).
• Grosse, Ingrid: Aus Neustadt nach St. Petersburg. Der Chemiker Carl Julius von Fritzsche (1808-1872). Neustädter Anzeiger 19 (No 21), 17.10.2008, 19-20. Online Ressource (30.5.2012). Fortsetzung: Neustädter Anzeiger 19 (No 22), 30.10.2008, 14. Online Ressource (30.5.2012).
• Grosse, Ingrid: Dem Chemiker und Akademiker Carl Julius Fritzsche zum 200. Geburtstag. Sächsische Heimatblätter, Heft 2, 2008, 126-138.
• Grosse, Ingrid: Doppelsalze und Polycyclen: Carl Julius von Fritzsche. Nachrichten aus der Chemie, 56 (No 11), 2008, 1138-1140.
• Krätz, Otto: Beilstein - Erlenmeyer. Briefe zur Geschichte der chemischen Dokumentation und des chemischen Zeitschriftenwesens. (=Neue Münchner Beiträge zur Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften; 2). München 1972, 19.
P • Foto o.D., St. Petersburger Filiale des Archivs der Russischen Akademie der Wissenschaften, f. X, op. F., d. 11, l. 1. Abgedruckt in: Pfrepper 2008, 13.
• Foto ca. 1850, von dem berühmten St. Petersburger Fotografen Sergej L'vovič Levickij (1819-1898), den Fritzsche als einen Teilnehmer der Kaukasusreise 1842 kennenlernte. St. Petersburger Filiale des Archivs der Russischen Akademie der Wissenschaften, f. X, op. F., d. 12, l. 1. Abgedruckt in: Pfrepper 2008, 25.
• Foto o.D., St. Petersburg. St. Petersburger Filiale des Archivs der Russischen Akademie der Wissenschaften, f. X, op. F., d. 13, l. 1. Abgedruckt in: Pfrepper 2008, 62.
 
 
Gedruckte Version: Pfrepper, Regine: Carl Julius Fritzsche (1808-1871) - Pharmazeut und Chemiker in Dresden, Berlin und St. Petersburg. In: Kaden, Heiner; Riha, Ortrun (Hgg.): Studien zu Carl Julius Fritzsche (1808-1871) und Il'ja Il'ič Mečnikov (1845-1916). Quellenarbeit in der Wissenschaftsgeschichte. Aachen: Shaker 2008 (Relationes 1), 11-90.
Die Internetversion weicht von der gedruckten Fassung ab.